Status: | Beschluss |
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Beschluss durch: | Unterbezirksparteitag der SPD Dresden |
Beschlossen am: | 26.10.2024 |
Antragshistorie: | Version 2 |
Reclaim the streets! Eine Stadt für Alle.
Beschlusstext
Der Unterbezirksparteitag der SPD Dresden möge beschließen:
Dass wir in einer patriarchalen Welt leben, ist mittlerweile linker
Grundkonsens. Doch die patriarchalen Strukturen waren nie ein rein soziales
Konstrukt, sondern manifestieren sich in unserer physischen Umwelt: Das
Patriarchat plant und baut Städte und im Gegenzug festigen die Städte das
Patriarchat. Stadtplaner*innen und Architekt*innen (beide primär männlich)
orientieren sich an stark patriachal gefärbten Konzepten und Theorien. Diese
werden weitgehend als objektiver und wissenschaftlicher Konsens angesehen,
vernachlässigen aber an vielen Stellen Perspektiven, welche nicht cis-männlich
sind. Dies betrifft auch Dresden.
Die Straßen unserer Stadt sind für den Mann gemacht. Unsere gesamte
Infrastruktur baut auf dem veralteten Rollenbild des lohnarbeitenden Mannes und
der pflegenden Hausfrau auf. Diese muss viele Wege, meist mit dem Öffentlichen
Verkehr oder zu Fuß, bestreiten, um Kinder zur Kita oder Schule zu bringen,
Einkäufe zu erledigen und selbst Arbeiten zu gehen. Der Kinderwagen macht dies
noch komplizierter, denn für Kinderwägen sind auf Straßen und in Bussen meist
kein Platz. Im Kontrast muss der "Lohnarbeiter" "nur" von Zuhause (mit dem Auto)
zur Arbeit und zurück. Und dies darf er im Winter auf schneegeräumten Straßen,
während die erst später geräumten Fußwege durch Glatteis und Schnee gefährlich
bleiben. Diese Rollenbilder bauen darauf auf, dass die Frau generell eigentlich
garnicht mobil sein muss, sondern sich nur Zuhause um Kinder und Küche kümmern
muss, während der Mann das Geld Nachhause bringt. Selbstredend sind diese
Rollenbilder bei Weitem veraltet, aber es ist weiterhin Grundlage unserer Städte
und benachteiligt jetzt alle Personen, welche sich um die Care-Arbeit in unserer
Gesellschaft kümmern und durch unseren modernen Stadtbau erheblich benachteiligt
werden.
Ein weiterer Aspekt ist die Angst. FINTA*s1 haben im öffentlichen Raum weit mehr
Angst als Männer. Und obwohl die größte Gefahr vor Gewalt für FINTA*s
statistisch im eigenen Zuhause steckt, muss es unser Anliegen sein, dass der
öffentliche Raum für alle Menschen ohne Angst nutzbar ist. Angsträume dienen
hierbei der gesellschaftlichen Disziplinierung von FINTA*s. Ein cis-Mann wird
nie hinterfragt, wenn er alleine durch die Stadt läuft, während von FINTA*-
Personen stets (mindestens unterbewusst) die Begleitung von weiteren FINTA*s
oder eines Mannes erwartet wird, um mögliche Gefahren abzuwehren. Ziel von
feministischer Stadtplanung muss deshalb eine so weit wie möglich gewalt- und
angstfreie öffentliche Stadt sein, gleichwohl in voller Einsicht, dass
patriarchale Gewalt erst endgültig durch die Zerstörung der patriarchalen
Gesellschaft möglich ist.
Aber über wen reden wir in der feministischen Stadtplanung überhaupt? Über die
Frau. Aber welche? Cis? Weiß? Heterosexuell? Mittelalt? Mittelschicht? Ohne
Behinderung? Unser intersektional-queerfeministisches Verständnis muss alle
marginalisierte Gruppen unserer Gesellschaft und ihre Bedürfnisse im Blick
behalten. Denn wo durch eine Maßnahme die Stadt für eine marginalisierte Gruppe
angenehmer und sicherer gestaltet wird, wird eine andere marginalisierte Gruppe
gegebenenfalls mehr Angst und Gefahren ausgesetzt. Mehr Polizei wird eventuell
das Sicherheitsgefühl von weißen cis-Frauen erhöhen, aber Women of Colour werden
möglicherweise mehr polizeilicher Repression ausgesetzt. Deshalb muss unsere
feministische Stadtplanung immer intersektional sein!
Wir fordern deshalb folgende Maßnahmen, um Dresden feministischer und
intersektionaler zu gestalten:
Der ÖPNV muss ausgebaut werden. Neben einem generellen Ausbau der Bus- und
Bahnlinien muss die Taktfrequenz von Bus und Bahn in der Nacht erhöht werden.
Auch muss das Ziel sein, an jeder Haltestelle digitale Anzeigen mit den
aktuellen Abfahrtszeiten einzurichten. Weiterhin muss beim Ausbau von
Haltestellen und der Anschaffung von Bussen und Bahnen auf alle Bedürfnisse
geachtet und es müssen alle möglichen physischen Barrieren abgebaut werden. Und
es muss der Anruflinientaxi-Service "alita" der DVB stark ausgebaut werden, da
er derzeit nur auf dem Papier eine gute Idee ist.
Das Bike-Sharing mittels MobiBike muss auch erweitert werden! Bike-Sharing ist
für Menschen, welche durch Angsträume z.B. Nachhause müssen, eine gute
Möglichkeit, diese Strecke schnell zu überbrücken. Deshalb sollte an jeder ÖPNV-
Haltestelle ein MobiPunkt eingerichtet und dabei sichergestellt werden, dass an
diesen auch genügend MobiBikes zur Verfügung stehen, vor allem Nachts. Auch
müssen entsprechen die Fahrrad-Rückgabegebiete ertweitert werden.
Vor allem Menschen, die Care-Arbeit leisten, würden stark von einem Dresden der
kurzen Wege profitieren. Hier werden alle Orte zur Stillung menschlicher
Bedürfnisse (Wohnung, Arbeit, Einkauf, ...) zu Fuß, mit Fahrrad oder ÖPNV
innerhalb von 15 Minuten untereinander erreichbar sein. Dieses Konzept verlangt
dementsprechend auch, dass Dresden autofreier wird. Deshalb fordern wir auch die
Einrichtung von autofreien Vierteln, mehr Fahrradstraßen und mehr
Fahrradabstellmöglichkeiten.
Aus unserer materialistischen Analyse heraus müssen wir FINTA*-Personen bei der
Care-Arbeit unterstützen. Ein Aspekt ist, dass das Netz an Kitas ausgewogen und
gut verteilt ausgebaut werden muss. Weiterhin müssen FINTA*s im Bereich Wohnen
unterstützt werden. Es braucht mehr günstigen sozialen Wohnraum. Auch muss bei
Neubauten von heteronormativen Wohnkonzepten abgekommen werden, damit Wohnungen
den Bedürfnissen von allen Menschen in allen möglichen Wohnkonstellationen
gerecht werden.
Damit sich FINTA*-Personen in der Öffentlichkeit sicherer fühlen, müssen mehr
öffentliche Räume zum kurzen Aufenthalt eingerichtet werden. Das können z.B.
Cafés sein, es darf aber keine Verpflichtung zum Kauf von Produkten bestehen.
Weiterhin benötigt Dresden mehr öffentliche Toiletten, mehr Sitz- und
Verweilmöglichkeiten und mehr Mülleimer. Die öffentlichen Toiletten sollen
hierbei für alle Geschlechter offen und barrierefrei sein. Damit diese als
Savespace funktionieren, sollen insbesondere Einzeltoiletten mit Waschbecken
errichtet werden, die vollkommen abschließbar sind. Zusätzlich ist es notwendig,
dass alle öffentlichen Toiletten und Toiletten öffentlicher Einrichtungen
kostenlose Menstruations- und Hygieneartikel zur Verfügung stellen.
Vor allem für die Nacht müssen mehr Maßnahmen ergriffen werden, damit sich
FINTA*s und andere marginalisierte Gruppen sicherer fühlen können. Eine
effiziente Beleuchtungsstrategie muss hierbei eine Maßnahme sein. Weiterhin
können Apps zur schnellen Benachrichtigung von lokalen Hilfestellen helfen. Auch
Heimwegtelefone, welche Menschen beim Heimweg telefonisch begleiten, müssen
ausgebaut werden. Zur Prävention muss Dresden auch eine Öffentlichkeitskampagne
zu und Bildungsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt und Übergrifflichkeit
starten, um hierfür in der breiten Stadtgesellschaft zu sensibilisieren.
Die Stadt muss für Opfer sexualisierter Gewalt in der Öffentlichkeit, z.B. in
Bahnhöfen und in der Innenstadt, sichere Rückzugsorte mit Awareness-Teams und
Sozialarbeiter*innen einrichten, welche Betroffenen stets schnelle Unterstützung
geben können. Auch bei öffentlichen Veranstaltungen wie Konzerten und
Stadtfesten muss künftig ausreichende Awareness-Arbeit sichergestellt werden.
Die Stadt soll hierfür sich und externe Betreiber*innen von öffentlichen
Veranstaltungen zu Awarenesskonzepten verpflichten!
Auch die Sichtbarkeit von FINTA*s in der Öffentlichkeit gehört zu einer
feministisch-intersektionalen Stadt dazu. Deshalb fordern wir, dass es mehr
Denkmäler von und mehr Straßen-, Schul- und Unigebäude-Benennungen mit FINTA*-
Personen gibt.
Bei allen Maßnahmen muss aber auch sichergestellt werden, dass FINTA*s ihre
Interessen artikulieren können. Hierfür wäre die Einrichtung von kommunalen
FINTA*-Plattformen eine Möglichkeit. Natürlich sollten aber nicht nur FINTA*s
dafür verantwortlich sein, dass ihre Perspektiven stets eine Rolle spielen. Es
müssen FINTA*-Perspektiven auf jeder Agenda stehen. Hierbei eignet sich ein
detailliertes intersektionales Gendermainstreaming bei jedem Stadtratsbeschluss.
Auch bei Bürger*innenbeteiligungen, z.B. Online-Anfragen, welche eindeutig
niedrigschwelliger und öfter geschehen müssen, müssen klar
Marginalisierungskriterien abgefragt werden, welche auch in der Auswertung
entsprechenden Stellenwert erhalten müssen. Letztendlich hilft aber keine
Umfrage, keine Beteiligungsmöglichkeit und kein Beirat, wenn die entscheidenden
Personen mehrheitlich cis-männlich sind. FINTA*-Personen müssen in kommunale
Entscheidungspositionen! Hierfür sehen wir auch eine Geschlechterquote bei den
Kommunalwahlen und den kommunalen Ämtern als notwendig an.
[1] FINTA* = Frauen sowie Inter, Nicht-Binäre, Trans- und Agender Personen
(sowie weitere Menschen, die sich nicht mit den gesellschaftlichen Kategorien
männlich/weiblich identifizieren)